476 Schülerinnen und Schüler besuchen die Mittelpunktschule in Keur Baka, 250 Kilometer östlich von Dakar, in der staubigen trockenen senegalesischen Sahelzone. Wenn die Kinder nach der Grundschule im Dorf hierher in die neue Schule kommen, sind sie ungefähr 12 Jahre alt. Vier Schuljahre lang bleiben sie und schließen mit der Mittleren Reife ab. 
Doch viele bleiben nicht. Das Nichtbleiben hat zahlreiche Gründe, nur einer davon ist es, das schulisch geforderte Niveau nicht zu erreichen. 
Zahlreiche Mädchen werden mit 12, 13 oder 14 Jahren verheiratet. Nach den Sommerferien kommen sie zum Schulleiter und sagen ihm, Monsieur, ich bin jetzt verheiratet! Der Schulleiter, M. Bara Gueye, kennt diesen Satz zur Genüge und antwortet nur kurz: Ok, komm bitte weiter zur Schule. Vergiss die Schule nicht!
Doch kaum ein Jahr später gebären einige ihr erstes Kind und haben keine Zeit mehr zum Lernen. Sie kommen noch ein paarmal, dann irgendwann bleiben sie weg. 
Andere müssen das familiäre Umfeld verlassen, zu ihrem Ehemann ziehen, ihm den Haushalt machen. Seine Familie möchte das so. Auch sie sind für die Schule verloren. M. Bara Gueye regt sich auf. Er will die Mädchen halten. Diese Eheschließungen sind sowieso nicht legal. Nach dem Gesetz dürfen jungen Frauen erst mit 18 heiraten. Doch das Gesetz zählt nicht, es geht nicht um die weltliche Ehe, es geht einzig um die religiös geschlossene muslimische Verbindung.
Den Sommer über, während der Regenzeit, ist die Schule geschlossen. Schulferien von Juni bis in den Oktober hinein, das bedeutet für die Kinder Arbeit auf dem Feld. Ist die Ernte Anfang Oktober nicht fertig eingebracht, dann muss die Schule noch warten. Erster Schultag hin oder her. Alle Kinder werden gebraucht, jede Hand ist nötig beim Ernten, Speichern und Verkaufen. Und die Eltern haben erst nach erfolgreicher Ernte die Möglichkeit, für den Schulbesuch die zehntausend Francs CFA aufzubringen. Diese 15 Euro sind kein Schulgeld, nein, das ist längst abgeschafft im Senegal, der Betrag ist für die Uniform, für Bücher oder Kopien. 
Im Büro von M. Bara Gueye liegen im Regal verstaubte Mathebücher mit abgerissenen Ecken und zerfetzten Buchdeckeln. Kaum zehn Exemplare pro Jahrgang, zehn Bücher für mehr als einhundert Schülerinnen und Schüler. Also muss für alle kopiert werden. Der Kopierer im Schulleiterbüro sieht recht gut aus, doch ist die Trommel verbraucht, die Kopien sind kaum lesbar.
Ins Collège kommen die Kinder aus Keur Baka und den umliegenden Dörfern. Glück haben nur die aus Keur Baka, sie haben einen kurzen Weg, und sie können mittags zu Hause etwas Reis essen. Die anderen laufen zu Fuß zwischen vier und sechs Kilometern morgens um sieben Uhr, da ist es noch ein wenig kühl. Um halb drei nach dem Unterricht schlurfen sie durch die flirrende Hitze eine Stunde lang zurück. Gegessen haben sie nichts, bis sie zu Hause ankommen. Eine Kantine gibt es nicht, und das Kantinenessen könnten die Eltern sowieso nicht bezahlen. 
Eigentlich sieht die Schulordnung eine lange Mittagspause vor, von 12 bis 15 oder sogar 16 Uhr. Doch der Schulleiter hat bei der Behörde eine Veränderung der Zeiten für seine Schule durchsetzen können, denn nach Hause können die meisten Kinder zum Essen sowieso nicht, da schien es ihm in Absprache mit den Eltern besser, die Mittagspause zu kürzen.
Viele Mädchen halten das Schuljahr nicht durch, denn hungrig den Rückweg am frühen Nachmittag antreten, bedeutet auch, bis sie zu Hause sind, nicht auf die Toilette zu können. Für so etwas wie sanitäre Anlagen hat die Schule kein Geld. Die Jungen gehen irgendwo ins Feld. Die Mädchen können das nicht machen. Zu groß ist die Gefahr, dass ihnen jemand folgen könnte.
Trotz aller Schwierigkeiten sind Schulleiter und Elternvertreter stolz auf ihre Schule. Vor neun Jahren begann der Schulaufbau mit dem ersten Jahrgang. Bis dahin war das nächstgelegene Collège 25 km entfernt in Kaolack für die Dorfkinder unerreichbar. Ihre Schulzeit war mit dem Abschluss der Grundschule beendet. 
Die Elternvertreter kämpften erfolgreich. Jedes Jahr kamen neue Schulklassen dazu. Jetzt ist eine dreijährige Oberstufe das nächste Ziel. M. Bara Gueye hat in Dakar erreicht, dass seine Schule, die aus alten Bretterverschlägen und zusammengenagelten Palisadenwänden bestand, in ein Hilfsprogramm der japanischen Regierung aufgenommen wurde. In nur neun Monaten setzten die Japaner nagelneue Schulgebäude etwas außerhalb von Keur Baka hin. Bereits im neuen Schuljahr bezugsfertig. Beeindruckend auch die sanitären Anlagen! Was fehlt sind Wasser und Strom. Der letzte Strommast steht einige hundert Meter entfernt am Dorfrand. Anträge hat M. Bara Gueye genügend geschrieben. Bis Wasser- und Stromversorgung die neue Schulanlage erreicht haben werden, können noch Monate, wenn nicht Jahre ins Land gehen.
Und vielleicht ein Mittagessen für alle? In einer Kantine. Kostenfrei. Der nachmittägliche Rückweg über die Felder bei vierzig Grad im Schatten unter einer Sonne, die erbarmungslos brennt, fünf bis sechs Kilometer. Nicht mehr hungrig. Das wäre ein Traum.
Manthita ist in Keur Baka angekommen. Stolz nimmt sie ihre neue Schuluniform in Empfang. Sie will lernen, sie will lesen, sie will mit Zahlenkolonnen umgehen, sie will wissen, wie man sich und andere vor Krankheiten schützt; diese Schule hier gefällt ihr, immer weiter zur Schule gehen will sie, und dann später einmal, dann möchte sie  Ärztin werden.
Das ist Manthitas Traum.   
     
September 2015