Zeichen auf die Tafel, tauchen den Kiel wieder ein, schreiben weiter, arabische Zeichen, eins nach dem anderen. 
Ousseye steht auf, nimmt seine Tafel in beide Hände, geht in die Ecke des überdachten Sandplatzes, dahin, wo auf einer Matte der Koranlehrer sitzt, zeigt ihm das Geschriebene.  Der Lehrer schaut die Schriftzeichen an, blickt zu Ousseye und bedeutet ihm mit einem wohlwollenden Nicken, dass er gut gearbeitet hat. 
Ousseye setzt sich wieder. Mit der linken Hand fasst er gedankenverloren in den Sand, lässt den Sand in die rechte Hand rieseln, dann wieder in die linke zurück. Das Rieseln das Sandes, die immer gleiche Bewegung lässt ihn an zu Hause denken; Hitze und Sand gab es zu Hause, kein nächtliches Frösteln wie hier, wo der Wind vom Meer herüber weht. Zu Hause, das war weit weg, weg von dem Ort, wo er jetzt ist, weg vom Meer. Ousseye spürt den Sand zwischen seinen Fingern, er spürt die Wärme zu Hause, in der kleinen Hütte, die Matten, auf denen er mit seinen Geschwistern lag, die Mutter, an die er sich anschmiegte, wenn sie still dasaß und der kleinen Schwester die Brust gab. Er spürt Vater und Onkel, wenn sie ihn mitnahmen zu den Tieren. Er denkt an den Augenblick, als der Koranlehrer kam und die Eltern ihn zwangen, mit dem gelehrten Mann mitzugehen. Wohin? Er wusste es nicht. Und so genau wussten die Eltern es auch nicht. In die Stadt sollte er mit dem Marabu mitgehen. Die Stadt war weit. Wie lange war der Abschied nun her? Ousseye weiß es nicht. Er weiß, dass er neun Jahre war, als seine Eltern ihn mit dem Marabu mitschickten. Seitdem verläuft die Zeit im Sand.

Unzählige Koranlehrer – die Marabus – sammeln im Norden Senegals bis zu dreißig Jungen um sich, mit denen sie sich in St. Louis, der Provinzhauptstadt niederlassen, in einem Verschlag, auf einem sandigen Hof, in einer Hütte. Die Kinder werden von ihnen täglich zum Betteln auf die Straße geschickt; sie betteln um ein wenig Reis oder einen Kanten Brot und sie betteln für den Marabu, dem sie ihre Ausbeute abzugeben haben. Dafür lehrt der Marabu sie, so hat er es den Eltern versprochen, den Koran.  
Dreißig Kinder zwischen fünf und achtzehn Jahren sitzen im staubigen Hof, zum Schlafen haben sie einen Raum von drei mal vier Metern; an der Wand hängen an schief eingeschlagenen Nägeln zerrissene vielfach geflickte Rucksäcke, darin die einzige Habe der Kinder. Sie trinken das schlechte Wasser aus einem alten Brunnen, denn Trinkwasser müssen sie kanisterweise bezahlen. Sie studieren täglich den Koran, sie lernen weder französisch noch rechnen, ganz zu schweigen von Naturwissenschaften oder Geschichte. Kommen sie mit 16, 17 oder 18 Jahren zurück in ihre Dörfer, so haben sie nichts anderes gelernt als den Koran. Die Eltern sind stolz auf sie, aber das Dorf kann hunderte von Koranlehrern niemals gebrauchen. Der Stolz der Eltern kann sie nicht ernähren.

Ousseye malt arabische Schriftzeichen. Er malt sorgfältig. Er denkt an seinen Lehrer im Dorf. Der hat ihn gelobt, er konnte gut schreiben, er lernte schnell, französisch machte ihm Spaß. Er lernte gerne. Was hat er behalten? Was vergisst er hier im sandigen Hof? Hier kann keiner französisch, weder sprechen noch schreiben. 
In der Koranschule tauchen zwei Männer auf, sie sehen anders aus als der Marabu, ein bisschen wie der Lehrer im Dorf, mit Jeans und gebügelten Hemden.
Sie reden mit dem Marabu. Der Marabu deutet auf Ousseye. Der Marabu spricht leise. Ousseye versteht nicht, was er sagt. Wieder deutet der Marabu auf ihn. Die beiden jungen Männer kommen auf ihn zu. Sie hocken sich neben ihn in den Sand. Sie sind freundlich zu ihm. Sie reden französisch und ein wenig Wolof. Sie fragen ihn nach seinem Namen und nach seinem Alter. Er versteht sie nicht ganz, aber er versteht doch genug, um antworten zu können. Er hat ja französisch gelernt. Er war ja in der Schule. Wie lange? Zwei Jahre, vielleicht auch länger. 
Am nächsten Tag kommen die beiden Männer wieder. Wieder sprechen sie erst mit dem Marabu, dann hocken sie sich zu Ousseye in den Sand und reden mit ihm. Sie erzählen ihm von einer Grundschule in der Nähe. Sie sagen, dass sie dort einen Lehrer kennen. Sie fragen Ousseye, ob er dort hin gehen möchte.

Die beiden jungen Männer gehören zu dem Verein ‚espoir des enfants de la rue’, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Lage der Straßenkinder in St. Louis zu verbessern. Sie sorgen sich um die Zukunft dieser Kinder. In St. Louis, einer Stadt von 160.000 Einwohnern gibt es geschätzte 15.000 Kinder, die in den Höfen und Verschlägen der Marabus überleben. 
Der Verein leistet erste Hilfe bei täglichen kleinen Verletzungen ebenso wie bei größeren gesundheitlichen Problemen und bei notwendigen Krankenhausbehandlungen. Ziel des Vereins ist es, die Gegenwart für die Kinder erträglicher zu gestalten und ihnen eine Zukunft zu sichern. Dazu gehört unbedingt eine elementare Schulbildung. 
Um einhundertsechzig Kinder kümmert sich ‚espoir des enfants de la rue‘. Bislang besucht kein einziges dieser Kinder eine öffentliche Schule.
Für drei Kinder haben die jungen Männer die Einschulung schon fast erreicht.
Einer von ihnen ist Ousseye.
Im Sommer wird Ousseye in die Schule gehen. Darauf freut er sich sehr.